Rede des toten Christus
Wir fragten Jesus Christus: »Gibt es Gott, gibt es den wahren Einen?«
Christus sagte: »Ich sah Tote sich in Traurigkeit vereinen,
lange Leichenzüge irren durch die Dunkelheit des Nichts,
ewiges Verlorensein ist das Urteil des Weltgerichts.
Keiner unsrer Toten findet noch einen Weg zu den Seinen,
keiner unsrer Toten findet unsern Gott, denn es gibt keinen!
Ich stieg tief hinab, so weit des Seins verlorne Schatten reichen,
schaute in die Abgründe und rief: 'Vater, gib mir ein Zeichen!'
Doch ich hörte nur den Sturm, der eisig durch den Abgrund wütet.
Tot ist er, der uns gab Trost, der unsre Seelen hat behütet.
Ich suchte das Auge meines Vaters, unserm großen Gotte,
sah in seine Augenhöhle, tief wie eine Felsengrotte.
Seht die Ewigkeit im Chaos liegen und sich selbst zernagen!
Es ist traurig, doch ich kann nur dieses eine euch noch sagen:
Gott ist tot!
Gott ist tot!
Gott ist tot!
Gott ist tot!
Ich stieg in die Sonnen, sah sie ihre goldnen Flammen weinen,
flog mit den Milchstraßen, die nur noch sehr matt und trübe scheinen,
Weltkugeln und Galaxien schütten Geist und Seele aus
ins Totenmeer des schrägen Missklangs, einst Gottes großes Konzerthaus.
Sternenschneegestöber sehen wir nun statt der Silberstreifen,
ausgewehte Sonnen sieht man ohne Bahn durchs Weltall schweifen.
Reißt die Erde in den Abgrund, zu den modernden Gebeinen,
alles wird vergehen, außer unserm Gott, denn es gibt keinen!
Nun sinkt das Weltgebäude in apokalyptischer Kolonne
nach und nach an uns vorbei, erst Tempel, dann Kinder und Sonne.
Wir sind Erben von Ruinen einer Welt in Schutt und Asche,
seid gewarnt, dass euch die Endzeit und die Not nicht überrasche!
Nehmt ein Bad in Stahl und Blut, bedeckt euch mit Erde und Steinen!
Vielleicht halten die euch warm, Gott tut es nicht, denn es gibt keinen!
Wer noch glaubt an unsern Vater, wer noch glaubt an unsern Herrn,
den wird ein böses Erwachen bald aus seinem Traum herauszerrn.
Ihn umgeben Leid und Elend, Weltenschmerz und Totenklagen,
es ist traurig, doch ich kann nur dieses eine euch noch sagen:
Gott ist tot!
Gott ist tot!
Gott ist tot!
Gott ist tot!«
Inspiriert durch Jean Pauls »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei«.
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»Auch Götter sterben, wenn niemand mehr an sie glaubt.«
Jean Paul Sartre
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